Dienstag, 25. Februar 2014

Impressionen von einer Reise durch Mexiko

MEIN FREUND, DER BAUM 

Dass Bäume nicht nur schön, sondern auch mythologisch wichtig sind, das steht schon in der Bibel: "Der Gerechte ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht; und was er macht, das gerät wohl..." Was hat nun dieser Psalm mit den Mayas in Mexiko zu tun? -

Darauf komme ich später zurück. Denn erst einmal bin ich nach 10-stündigem LUFTHANSA-Flug in einer unendlichen Steinwüste auf 2.500 m Höhe, der 20-Millionen-Megalopolis Mexiko-City, angekommen. Ich sehe, wie sich ihre Ränder im Dunst sowie im Rauch des Popocatepetel-Vulkans verlieren und frage mich: Mit welcher Sprache könnte ich diese Stadt beschreiben, die der farbigen Freude oder die Sprache der grauen Trauer?

Zuerst verschlägt es mir die Sprache. Befinde ich mich auf einem anderen Stern? Also beginne ich zu lesen, zum Beispiel die seltsamen Platz- und Straßennamen, die im urbanen Chaos meinen Weg weisen, wie: Avenida de Insurgentes, - sie wurde nach den Aufständischen von 1810 benannt, die bei diesen Kämpfen gegen das spanische Mutterland ihr Leben verloren - oder die Avenidas Chapultepec und Cuauhtémoc, Nueva Atzacoalco, Moctezuma oder Huitzilopochtli - Namen aus dem Großreich der Azteken, die davon überzeugt waren, dass ohne Menschenopfer die Welt unterginge. Viel grimmige Geschichte der vorkolumbianischen Zeit, der Zeit vor dem 16. Jahrhundert - aber auch danach. So erinnert der Platz, an dem sich die großen Straßen im Zentrum kreuzen, an den letzten Aztekenherrscher Cuauhtémoc, der damals von den spanischen Eroberern erdrosselt wurde. Gewalt, Triumph und Tragik nur in Mexiko? In Europas Vergangenheit ging es nicht weniger verwickelt und verwirrend zu. Und waren es nicht die Europäer mit Namen Hernán Cortez oder Francisco Pizarro, die wegen ihrer Gold- und Silbersucht aus Mittelamerika ein Schlachthaus machten?

Man sagt, dass das heutige Mexiko aus drei Schichten zusammengesetzt sei: aus der der indianischen Großreiche, aus dem kolonialen Erbe und aus der wuchernden Moderne des 20. Jahrhunderts. In dieser Wucherung bin ich - mit den Warnungen von zu Hause im Kopf - gelandet: "Die Luft verpestet, der Untergrund tektonisch aktiv, das Leben so gefährlich, dass es an jeder Straßenecke durch Messer oder Kugel jäh enden kann". - Und tatsächlich, dieser Moloch, diese ehemalige Hauptstadt der Azteken, bedeckt meine Sinne wie ein fremdartiger Schleier, der mich schwindlig werden lässt.

Ich flüchte: Von den alten Azteken zu dem anderen indigenen Volk, zu den alten Mayas, und zwar bequem in zwei Stunden mit der jungen mexikanischen Fluglinie VOLARIS.

Vor der Landung in Mérida überfliegt VOLARIS die grünüberwucherte Ebene der Halbinsel Yukatán, wo jeden Morgen der Maya-Sonnengott siegreich gegen Chacmol, den Herrscher der Finsternis, kämpfen soll.

Sonne, tropische Wärme sowie schwere Gewürz- und Blumendüfte empfangen mich, als sich die Airbus-Türen öffnen - so ganz anders als in der chaotischen, kühleren Hauptstadt. Zu dieser Duftmischung gehört das blütenreiche Malvengewächs, der CEIBA-Baum. Und jetzt komme ich endlich zu meinem eingangs erwähnten Baum-Bibel-Psalm.

Dieser Ceiba-Baum mit seinen tiefen Wurzeln, dem mächtigen, astlosen Stamm und seiner Krone bedeutete in der Maya-Mythologie eine Weltachse, die Himmel, Erde und Unterwelt miteinander verbindet.

"...und was er macht, das gerät wohl..." Wohl geraten ist die außergewöhnliche Hommage an die Maya-Kultur, das GRAN MUSEO DEL MUNDO MAYA. Aus dem Centro historico Méridas kommend, ist es als landmark nördlich der Stadt von weitem als grünes, gewaltiges Geflecht auf einem weißen Beton-Stamm zu sehen, als Stilisierung eines Ceiba-Baumes.

Es waren die Mayas, berühmt für Maisanbau, Metallverarbeitung, Malerei, Mathematik und für ihren hochentwickelten Kalender, die die gesamte Welt anno 2012 in Weltuntergangsstimmung versetzten. Ihr Kalender endete am

21.12. 2012. Genau an jenem bedeutungsschweren Endzeit-Datum wurde in Mérida ein Anfang gemacht. Der kühne Museumsbau wurde feierlich eröffnet.

Für mich ein gutes Ziel, hier meinen Yucatán-Ausflug zu starten. Ich wandle zwischen den Überresten einer geheimnisvollen Kultur, betrachte Bilder auf Mauern, in Codices und starre in pupillenlose Augen der Artefakte. Obwohl ich in drei Sprachen - in Spanisch, in Englisch, in Maya - , mit großer Liebe zum Detail und in vielfältigen Perspektiven von der Gegenwart zur Vergangenheit geleitet werde, bleibt diese Welt für mich undurchdringlich. Meine Vorstellungskraft kann nur erahnen, dass es einmal eine ganz andere Art von Menschen gegeben hat, Menschen, die diese gefiederten, geschnäbelten und gezähnten Zeugnisse hinterlassen haben.

Am Abend sitze ich in luftiger Höhe auf dem Dach des Museums, höre, sehe einer bunten, künstlerisch aufbereiteten Sound- & Light-Show zur Geschichte des Maya-Volkes und seiner Ceiba-Baum-Gedankenwelt zu:

Seine Baumkrone trägt den Himmel, den Kosmos; sein Stamm bildet die mittlere, von uns Menschen bewohnte Ebene; und seine Wurzeln führen in die Unterwelt. In diese will ich mich begeben. Das hört sich verwegen an.

Zuerst bin ich einfach nur auf ausgebauter Straße im Urwald unterwegs zu Wasserlöchern, die in Verbindung mit unterirdischen Höhlensystemen stehen, genannt CENOTES. Bekannt bei Höhlenforschern sind die “Dos Ojos” - Wasserlöcher, die wie zwei Augen in der Landschaft funkeln, ganz in der Nähe der Riviera Maya und südlich der Touristenhochburg Cancún. Dort haben einheimische Maya eine Servicehütte für Taucher eingerichtet.

Mein kühner Einstieg zur Unterwelt ist nicht größer als eine Pfütze.

Senor Boti gibt mir eine wasserdichte Lampe, Schnorchel, Flossen. Über eine Leiter steige ich in glasklares Süßwasser, schwimme, von Boti geführt, an dicken Wurzeln vorbei, in einem Unterwasserlabyrinth zu einer domartigen Grotte. “Mind your head”! ruft Senor Boti immer wieder. An manchen Stellen des unterirdischen Labyrinths fallen Sonnenstrahlen von hoch oben wie das Licht eines Bühnenscheinwerfers. Jenseits von diesem wird die Dunkelheit immer stärker, bald ist völlige Finsternis. Ohne meine Unterwasserlampe wäre ich verloren. Ich gleite über bizarre Formenwelten. Von der Decke hängen Zapfen, Spieße. Vom Boden erheben sich grazile Säulen oder Blöcke, ein Formenreichtum, der über Millionen Jahre entstanden ist. Hydrogeologen haben festgestellt, dass das vom Regen gespeiste Cenotes-Süßwasser von Yucatán auf dem Salzwasser der Karibik “schwimmt”, wie ein Fettauge auf einer Suppe. Kalte Strömungen gibt es nicht. Seit jährlich Tausende von Wasserhöhlenfans nach Yucatán kommen, wurden 50 voneinander unabhängige Höhlensysteme erforscht und über 300 Kilometer Wassertunnel vermessen. Dennoch sind das höchstens nur 20 Prozent des gesamten unterirdischen Cenotes-Systems von Yukatán.

So faszinierend diese Unterwelt ist - es war für mich ein fabelhaftes Gefühl wieder auf die mittlere Ebene, auf die von Menschen bewohnte, also zum Ceiba-Stamm, zurückzukehren, zum Beispiel nach Izamal.

In diesem Städtchen sind es die Menschen nicht gewohnt, dass sich Fremde ihr Kaff anschauen und nicht gleich zu der weltberühmten Stufenpyramide von Chichen Itza eilen. Ich selbst möchte Izamal nicht auslassen, denn dort lebte bis 1579 Bischof Diego de Landa, der alle greifbaren Manuskripte in Maya-Schrift als Teufelszeug verbrennen ließ. Auf die Fundamente der P'ap'hol-chaak-Pyramide ließ er als selbstbewusstes Ausrufungszeichen den jetzigen Franziskaner-Konvent errichten.

Wahrscheinlich erschloss sich ihm als Europäer die indigene Welt genau so wenig wie mir. Allerdings versuchte er später - zu seiner Rechtfertigung - einen "Bericht über die Dinge Yucatáns", eine Rekonstruktion der Maya-Schrift, das sogenannte Landa-Alphabet, das ein Hilfsmittel zur Entzifferung der Maya-Schrift wurde.

Der nächste Halt meiner Reise ist der Touristenmagnet Chichen Itza. Über 15 Quadratkilometer muss ich auf Sacbes, gemauerten Straßen, schwitzend erwandern, um alles zu sehen: Süd -und Nordtempel, den Schneckenturm, skulptierte Säulen und Plattformen oder die Hohenpriestergräber. Im Zentrum befindet sich Quetzalcoatl, die gefiederten Schlange, synkretistische Gottheit der Maya. Hier soll sie (als von den Mayas berechneter Lichteffekt) zweimal im Jahr bei Sonnenuntergang an den Stufen der erstaunlichen Pyramide des Kukulcán, der 30 Meter hohen Stufenpyramide, zu sehen sein. Allein auf der Halbinsel Yucatán gibt es etwa zehn wichtige Pyramiden. Viele andere sind noch nicht einmal ausgegraben.

Nördlich dieser gewaltigen Pyramide liegt das Cenote Sagrado, der heilige Brunnen, von dem der Ort seinen Namen hat (Itza heißt Brunnen in Maya).

Der Forscher Edward H. Thomson hatte tief unten tausende wertvolle Stücke gefunden. Jade, Gold, Keramik und auch - - - mehr als 50 Skelette.

In diesem nassen Friedhof ruhten also einige der mexikanischen Vorfahren, Tote einer uralten Stammeswelt. Sie alle erscheinen mir am Ende meiner Reise als eine Umfriedung dessen, was einst eine in sich geschlossene Welt war.

Nur am Allerseelen-Tag, dem 2. November, öffnet sie sich für die heutigen Mexikaner. Sie begehen in indigener Tradition und katholischem Glauben ein gemeinsames Ritual. Sie feiern fröhlich auf den Gräbern die tröstliche Vorstellung, dass die Toten zurückkommen, um ihre Familien zu besuchen. Denn den prähispanischen Völkern mit ihren eigenartigen, janusköpfigen Gottheiten galt das Sterben nur als Zwischenstation im Kreislauf des Seins. Sie kannten keine Hölle, sondern vielmehr die Welt des CEIBA-Baumes mit seinem mythischen Bogen.

Und so spannt sich ein poetischer, imaginärer Bogen zum biblischen "Gerechten, der wie ein Baum ist..."
 

Heidemarie Blankenstein,
Mexiko / Berlin, 16. Febr. 2014

 

 

 

 

 

 

 

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