Samstag, 10. Januar 2009

Archäologen mitten in Zyperns Zwietracht


Die Ledrastreet ist nur wenige hundert Meter lang, doch wenn sich Uwe Müller auf seinem Weg zur Mittagszeit bei einem Eis und türkischem Kaffee entspannt, braucht er gut eine Stunde für die kurze Strecke. Gewöhnlich schwellen Autolärm und Marktgeschrei zwischen Büyükhan und Eleftherias Square zu dieser Tageszeit ab. So kann er deutlich das Glöckchen der nahen griechisch-orthodoxen Phaneromeni-Kirche hören, aber auch das Rufen des Muezzins von der großen Selimiye-Moschee. Das ist Zypern. Alles ist hier vielschichtig. Dem Einerseits und Andererseits, das die Insel seit 1963 zerschneidet, kann  Müller nicht entkommen. Er arbeitet seit acht Jahren als Archäologe an der Eastern Mediterranean University (EMU) von Magusa (Famagusta) im türkischen Teil der Insel. Manchmal besucht er Freunde im griechischen Süden.  Dabei muss er eine Grenze passieren. Dann ist es mit seiner Entspannung vorbei. Frustration und Enttäuschung steigen in ihm hoch. 

Nun sollte man meinen, dass Wissenschaft  heute eine internationale Angelegenheit ist, die normalerweise keine Grenzen kennt. In Europas südöstlichstem Zipfel ist das freilich anders. Dort lebt die Forschung mit einer Grenze, an der sich die Geister scheiden. Den einen, den Griechen,  gilt sie als unerträglich. Die anderen, die Türken, beziehen aus ihr Sicherheit und Orientierung.

Als die Mittelmeerinsel vor vier Jahren Mitglied der Europäischen Union geworden war, glaubten die tapferen Brüsseler EU-Erweiterer,  die Grenze zwischen dem  griechischen  und dem türkischen Teil werde sich automatisch in Luft auflösen. 

Die Brisanz der unmittelbaren Konfrontation, die zwischen dem christlich-orthodox-griechischen und dem islamisch-orientalisch- türkischen Kulturkreis herrscht, hatten sie unterschätzt.

Dass aber gerade Archäologen durch einen außergewöhnlichen Fund in Nord-Zypern Opfer dieser Grenze würden, sogar tiefe Gräben durch die Forscherszene ziehen und Politiker in Aufregung versetzen könnten, war schon gar nicht zu erwarten.

Zwei US-amerikanische Professoren von der Eastern Mediterranean University (EMU) in Magusa (Famagusta) wandern durchs nord-zyprische Karpas-Hinterland, dort, wo meistens mehr Esel als Menschen umherstrolchen. Sie stoßen auf eigenartige Metallstücke und  informieren  den Fachmann,  den deutschen Archäologen der EMU, Dr. Uwe Müller.

Was sich ihm darbot, konnte nur durch eine unmittelbar Not-Aktion geschützt und gerettet werden. 26 gut erhaltene Gefäße, Weihrauchbrenner und Werkzeuge - alle offensichtlich aus der späten Bronze-Zeit, seit über 3000 Jahren versteckt unter einem Hügel mit vielen Namen:  Königshügel, auch Kaleburnu-Kraltepe oder Galinoporni-Vasili.


Unter Müllers Leitung, der türkisch-zyprischen Museums- und Antiquitäten-Verwaltung, dem Archäologie-Kollegen Bülent Kizilduman sowie  Akademikern aus Tübingen und Freiburg begannen Ausgrabungen im August 2005, finanziert von Deutschlands Fritz-Thyssen-Stiftung.

Da in der heutigen Zeit nur noch ganz selten so gut erhaltene Artefakte aus der Späten-Bronze-Zeit (1300 v. Chr) gefunden werden, war Sorgfalt und Behutsamkeit angesagt:  Zuerst wurden Räume mit vorhellenistischen Fresken freigelegt, in denen sich eine beachtlicher Reichtum an Luxusartikeln befand: Krüge, Kosmetik-Näpfe, Waagschalen mit ziselierter Gewichtseinteilung, Mörser, Stößel und Stöpsel. “Ihre Anfertigung aus Kupfer-Zinnlegierung erfüllt hohe technische Ansprüche. Vergleichbare Objekte sind bisher nur aus so prominenten Fundorten wie Ugarit, Megiddo oder aus Akko bekannt”, berichtet Müller. Er erzählt weiter und versetzt seine Zuhörer Jahrtausende zurück. Er lässt hoch beladene Schiffe aus der Levante kommend auf der wichtigen Route nach Anatolien und in die Ägäis im geschützten zyprischen Hafen einlaufen. Er beschreibt emsige, um Fracht feilschende Kaufleute,  um  Kupferbarren, um duftende Öle oder um berauschendes Opium. Wir meinen schließlich, eine prächtige Stadt in einer früh globalisierten, grenzenlosen Welt zu erkennen, deren Reichtum vor allem  auf  Kupfer-Ausfuhr (daher der Name Zyperns) beruht. Doch ihre Mauern sind eingestürzt, ihr Hafen versandet, ihr Name ging verloren. Ein treffliches Beispiel für Zypern gesamtes Geschick.

Schon immer haben  neue Eroberer nach der drittgrößten und kupferreichen Mittelmeerinsel gegriffen. Sie etablierten sich - und wurden vertrieben. Die vielfältigen Einflüsse lassen  sich  kaum alle aufzählen.

Wer vom Osten her aus den Gebieten der Hochkulturen an Euphrat und Tigris oder vom Nil nach Europa drängte, nahm den Weg über Zypern: das legendäre und kriegerische Reich der Hyksos, die Ägypter, Phönizier, Assyrer,  Perser und  Ptolemäer, später die Araber und von 1571 die osmanischen Türken. Ihnen gehörte Zypern  bis 1878, dem Beginn der britischen Kolonialzeit.
In umgekehrter Stoßrichtung war es nicht anders: die Achäer sowie Alexander der Große, die Römer und Byzantiner, der englische König Richard Löwenherz, die Templer und  die Kreuzfahrer, das französische Adelsgeschlecht der Lusignans, Genua und Venedig. Seit Jahrtausenden kreuzen sich hier die Machtinteressen. Auch in Zyperns jüngster Geschichte.

Schon kurz nachdem sich die Briten 1960 auf ihre drei militärischen Insel-Stützpunkte zurückgezogen und die Insel in die Unabhängigkeit entlassen hatten, radikalisierte sich das Misstrauen zwischen Griechen und Türken zum Bürgerkrieg. Erzbischof und Präsident Makarios kündigte die neue Verfassung der Republik Zypern  auf und drängte die türkischen Zyprer aus der Regierung.  Die Athener nationalistischen Obristen versorgten paramilitärische Verbände der Inselgriechen mit Waffen. Am 15. Juli 1974 putschten diese gegen die eigene griechisch-zyprische Regierung, um die Vereinigung Zyperns mit Griechenland durchzusetzen. Die Türkei sah die Zyperntürken in Gefahr und intervenierte am 20. Juli 1974. Seitdem herrscht zwar Ruhe an der Grenze zwischen  den beiden Volksgruppen, doch ohne Friedensabkommen.  Der letzte Versuch war der Friedensplan des UN-Generalsekretärs Annan, dem die türkischen Zyprer 2004 mehrheitlich zustimmten. Allerdings waren die griechischen Zyprer dagegen, aus gutem Grund. Sie hatten mit Erfolg auf  das historische Vergessen gesetzt. Dadurch war der Zypern-Horizont der Brüsseler Beamten dermaßen eingeschränkt, dass diese vor der EU-Aufnahme der Republik Zypern zu klären versäumten hatten, auf welches Territorium sich das Hoheitsgebiet des Antragstellers eigentlich erstreckte. Man hatte sich einfach der simplen griechischen Sicht angeschlossen:  
“Der türkische Nordteil gehört zur “Republik Zypern”, denn er ist seit 1974  vom türkischen Militär besetzt. Alles, was dort passiert, ist illegal”.

Das entspricht zwar der panhellenistischen Staatsdoktrin, aber nicht den historischen Tatsachen: Dass diese Republik schon seit 1963 de jure nicht mehr besteht, also auch illegal ist, das wurde in Europa einfach übersehen, was die griechischen Zyprer in eine komfortable Position hievte. Sie dürfen ungerührt und unkritisch weiter auf strenge Einhaltung des Boykotts gegen die türkisch-zyprische Bevölkerung und die von ihr gewählten und eingerichteten Institutionen drängen. Die gründete 1983 ihren eigenen Staat, die TRNZ, Türkische Republik Nord-Zypern. Aus türkischer Sicht bestehen zwei Inselstaaten. Eine Einigung auf einen einzigen gemeinsamen Staat liegt in weiter Ferne.

Darauf können wir nicht warten”, sagt Dr. Uwe Müller, “denn ein kulturelles Welterbe ist in größter Gefahr. Plünderer gruben an mehreren Stellen und zerstörten bereits die archäologische Substanz. Der Fundort ist gefährdet, so dass es meine Verantwortung und Pflicht ist,  diese einzigartige  archäologische Stätte vor Plünderern, vor der Landwirtschaft, vor Erosion hier und jetzt zu schützen”.

Doch vom griechischen Teil aus wurden die Forscher sogleich beschuldigt, durch diese Grabung in “türkisch besetztem Gebiet” internationales Recht zu missachten. Sogar der Botschafter der “Republik Zypern” in Berlin benachrichtigte den Rektor der Universität Tübingen, dass seine Professoren an einer “illegalen Ausgrabung” beteiligt seien. Der prominente zyperngriechische Archäologe  Vassos Karageorgis nannte das deutsche Engagement “schockierend…” und “..dies wird ernste Auswirkungen haben”.

Nach dieser erpresserischen Drohung beeilte sich die Fritz-Thyssen-Stiftung, ihre finanzielle Unterstützung zurückzuziehen. 

Müller lässt sich nicht erpressen. Zwei ebenso unbeugsame Professoren aus Tübingen helfen ihm, Ernst Pernicka und Martin Bartelheim - außerdem  die Regierung der TRNZ. Sie berufen sich auf die Haager Konvention vom 26. März 1999, die von 39 Staaten signiert, in Artikel 9 b ausdrücklich Rettungsgrabungen in besetzten  Gebieten erlaubt. Trotzdem werden Einladungen an Müller und seine Kollegen zu internationalen Kongressen  -  auf  Betreiben der eingebildeten Regierung von Griechisch-Zypern  - regelmäßig  zurückgezogen, von Veranstaltern, die politischen Druck auf wissenschaftliche Arbeit fürchten. 

“Die Grabenkämpfe der Politiker dauern nun schon ein halbes Jahrhundert.
Wir Archäologen sind ihre Opfer. Trotzdem versuchen wir so gut es  - unter unserer prekären  Finanzlage - möglich ist, weiter daran zu arbeiten, das Geheimnis der anscheinend  damals globalen, grenzenlosen Welt zu ergründen und bald in einem Museums-Gebäude der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.”

Und Martin Kobler, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, formuliert eine Lösung für den Zwist auf Zypern: “ Wo Politik nicht weiterkommt, muss Kultur ansetzen”.

Heidemarie Blankenstein,
Zypern, Berlin, im Januar 2009

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