Freitag, 17. April 2009

Klang der Poesie


Sehen ist Sünde in der arabischen Welt. Obwohl der Oman, jenes kleine Sultanat ganz im Osten der Arabischen Halbinsel, keine gesetzlichen Kleidervorschriften kennt, verhüllen sich die meisten Frauen. Als Zeichen ihres Anstands und ihrer Frömmigkeit laufen sie herum wie katholische Nonnen - mit bodenlangem schwarzem Umhang und dem Kopftuch, dem Hijab. 

Wenn nun Sehen sündig ist, wie ist es dann mit dem Hören?

Hören ist erlaubt. Diese Lücke nutzte Klaus Geyer, Deutscher Botschafter in Maskat. Er brachte - im Rahmen von Kultur@Germany - den Klang der Poesie (Sounds of Poetry) nach Oman, und zwar ins traditionelle Bait Zubair, ein Museum, das in Alt-Maskat liegt und von dessen Zinnen sich bei Sonnenuntergang ein frappierender Farbenwechsel von Pink bis Kobaltblau beobachten lässt. Ein Phänomen, das auf den Lichtreflexen der stark eisenerzhaltigen kahlen Felsmassive beruht, die Maskat umgeben.

Der Festsaal des Zubair-Museums wurde für diesen Anlass mit wertvollen Teppichen, Kissen und Polstern gemütlich ausgestattet. Ein paar Stühle fehlten nicht, aber nur für jene, die wissen, dass nach langem Lagern das Aufstehen schwer werden kann.

Mitten drin ein schwarzer Konzertflügel sowie ein Pult. Der ehrwürdige Mohammed Al Zubair, Unternehmer, Fotograf, Sammler, Museumsgründer und Kunstmäzen war persönlich erschienen.

Und dann hoben Dr. Mohammed Khalifa vom Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg und der junge omanische Poet Abdulrahim Al Hinaie an, Gedichte in Arabisch und Deutsch vorzutragen. Ihre Worte wurden von der Pianistin Laura Feldmann sanft begleitet. Der Klang von Bach, Schumann, Chopin, Debussy umschmeichelte die Ohren der Zuhörer. Die Sängerin Stefanie Golisch rundete das Programm mit Liedern von Schubert, Brahms und Mendelssohn-Bartholdy ab.

Das omanische und europäische Publikum liess sich freiwillig an zwei Abenden (16. / 17. März 09) ins Paradies von Ton und Wort entführen,

“Sage ihr
Die du liebst
Sie sei schön
Und sie wird schön
Nach dem Maß deiner Liebe”

in ein geheimes Paradies, in dem Gefühle ausgedrückt werden, die in der realen muslimischen Welt nicht gezeigt werden dürfen. Nur in der Poesie folgt das Leben den Gesetzen des Herzens, dort dürfen sogar Hüllen von weiblicher  - aber auch männlicher - Schönheit fallen. So ist die Poesie lingua franca der Araber und Perser.

Kein Wunder, dass sich viele europäische Dichter, besonders jene des 18. und 19. Jahrhunderts, von der arabischen Poesie inspirieren ließen. Die prominentesten unter ihnen waren Goethe, Schiller und Heine.

“Zwei Abende” - wie es Botschafter Geyer sagte - “des Beweises von  Menschlichkeit, die genau ins UNESCO-Programm des jährlichen “World Poetry Day” zum Frühlingsanfang  passen“. Oder mit den einfühlsamen Worten der großen Orientalistin  Annemarie Schimmel:

“Poesie allein ist Weltversöhnung”. 

Donnerstag, 26. Februar 2009

Buch-Rezension, Gold auf Lapislazuli, Die 100 schoensten Liebesgedichte des Orients


Als der Beck-Verlag sie bat, seine Reihe “Die 100 schönsten…” durch Liebeslyrik aus dem Orient zu erweitern, hatte Claudia Ott spontan abgelehnt: “Keiner kann sich das anmaßen, denn die Fülle der Texte ist enorm. Allein die arabische Sprache kennt mehr als hundert Wörter für Liebe, und in kaum einer anderen Dichtung ist die Liebe so zentral, so facettenreich wie in der orientalischen”.

Claudia Ott, die promovierte Orientalistin muss es wissen, denn sie unterrichtet an der Universität Erlangen, spricht Arabisch, Hebräisch, Türkisch, Persisch und Paschtu.

Den Verlagsauftrag nahm sie erst an, als sie die Idee hatte,  die Gedichte nach dem üblichen Schicksal von Liebespaaren zu ordnen - -  von der ersten Verliebtheit, über ihre Vereinigung bis hin zu Trennung und Abschied.
So ist es ihr gelungen, einen geordneten Reigen aus drei Jahrtausenden und aus verschiedenen Kulturen und Sprachen auf eine Art zu versammeln, dass der Leser erkennt, wie die Lyrik über alle Zeiten hinweg aufeinander Bezug nimmt.

Gedichte von Goethe und Heine fehlen nicht. Wir erfahren bei ihrer Buchvorstellung im Auswärtigen Amt im Rahmen des “Dialogs der Kulturen“, dass sich auch Rilke, Hausmann, Buber und Opitz durch den Orient, seinen Klang der Sprache, seinen Duft und seine Farben inspirieren ließen.

Das magische Farbenspiel von “Gold auf Lapislazuli” bildet das Tor, durch das Claudia Ott den Leser die geheimnisvolle Welt des Orients betreten lässt.   “Gold auf Lapislazuli” - auch eine Metapher für Sterne auf tiefblauem Nachthimmel, die nicht nur die Autorin beim Übersetzen eines andalusischen Gedichtes bezauberte, sondern schon 2600 vor Christus den sumerischen König Gilgamesch, der seiner Angebeteten einen Wagen “aus Lapislazuli und aus Gold” verspricht. 

Bei ihren eigenen Nachdichtungen legt die Übersetzerin Ott großen Wert auf den Rhythmus der Urfassung. “So kann jeder Leser das orientalische Liebesgedicht auf seine Lebenswelt beziehen, kann den fernen Freund, den unerreichbaren Herrscher oder den Allmächtigen als Geliebten auffassen. Diese Vieldeutigkeit, Offenheit nach allen Seiten, ist in der orientalischen Dichtung Programm, sicher einer der Gründe für ihre Breitenwirkung”, schreibt  die Autorin in ihrem Nachwort.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Wenn Wissenschaft Arabisch spricht


Steht Wissenschaft nicht nur in abendländischer Tradition? Sind deshalb nicht ihre klassischen Sprachen Latein und Griechisch? Aber Arabisch?
Arabien! Mit diesem Wort verbinden wir bestimmte Bilder, böse Bilder. Kein Wunder, denn aus jener Weltgegend werden wir täglich mit Terror- Tod- und-Teufel-Nachrichten überschwemmt.

Daneben besteht noch ein zweites Bild, ein heimliches, eins von mysteriösen Märchenerzählern, betörenden Düften, bauchtanzenden Haremsdamen... ein Gemälde lüsterner Sinnlichkeit. Kurz: Unser Arabien-Bild wird auf alles Anstößige, alles Verächtliche reduziert. Als Wiege der Wissenschaften haben wir jenen Teil des Globus nie eingeordnet.

Konnten wir auch nicht, denn als solche kam er in unserer Schulbildung nicht vor. Wer jemals die Möglichkeit hatte, den Blickwinkel zu ändern, der wird erstaunt festgestellt haben, dass in der arabischen Welt das Vergangene realer als die Gegenwart ist, so als läge den Menschen ein von Jahrhunderte langer Erfahrung geprägtes Wissen im Blut, das ihnen besondere Würde und Gelassenheit schenkt. Unser böses Arabien-Bild erweist sich also bei genauerem Hinsehen als Verzerrung. Sollten wir einfach nur unsere Optik ändern?

Es ist auch die Lehre der Optik, die vom IX. bis XV. Jahrhundert vertieft wurde. Damals bewegten sich die Gelehrten von Bagdad bis Samarkand, von Granada bis Kairo, von Damaskus bis nach (Indien) Jaipur, – ihre Sprache war Arabisch.

Den Weg der Strahlen hatte zwar der berühmteste Mathematiker der Antike, Euklid, 300 v. Chr. geometrisiert, auch Ptolemäus konnte 150 v. Chr. Strahlen präzise messen, aber das Licht hatte noch nicht ihre Aufmerksamkeit erweckt. Arabische Mathematiker wie Ibn Al–Banna, Ibn Al-Haim, Al- Karaji oder Umar Al-Khayyam übersetzten die antiken Thesen der Optik und erweiterten sie. Al-Kindi und Ibn Al-Haytham, oder Alhazan, vermuteten, dass Licht eine eigene existentielle Grösse sei. Sie entdeckten 900 n. Chr. den Brennspiegel als Lichtkörper. Reflexionsgesetze werden in Ibn Al-Haythams Buch der Optik formuliert: „Sehen entsteht, wenn Strahlen des Objekts auf ein Auge fallen, sich auf der Netzhaut brechen. Dort entsteht ein Bild, welches dem des Objekts entspricht,“ notierte er sorgfältig.
Systematisch hatten alle arabischen Forscher ihre Erkenntnisse aufgezeichnet und als Enzyklopädien herausgegeben. Europa profitiert heute noch davon. Constantinus Africanus, dem Arzt aus Karthago gelang es Ende des 11. Jahrhunderts, eine Anzahl dieser Medizin-Wälzer nach Sizilien zu bringen. Mit diesem Wissen wurde Salerno (neben Palermo) zur bedeutendsten medizinischen Fakultät Europas. –
Während es noch im mittelalterlichen Europa aus religiösen Motiven als ehrenrührig galt, einen menschlichen Körper zu öffnen, versuchten die arabischen Ärzte schon die ersten schwierigen Luftröhrenschnitte unter kontrollierter Narkose. Ihre Zahn-Heilkunde, ihre Therapien von Hautkrankheiten waren um Jahrhunderte dem europäischen Wissen voraus.

Als erster hatte der 1288 geborene Ägypter Ibn Al-Nahfis, Direktor der Hospitäler von Kairo und Nasri, ebenso Kommentator der Thesen des Hippokrates, den „Kleinen Blutkreislauf“ oder „Lungen-Kreislauf“ entdeckt, also den mit Sauerstoff angereicherten Weg des Blutes, bevor es in den grossen Kreislauf (Siehe Graphik !) zurück fließt. Dasselbe gelang in Europa erst 1628 dem Engländer William Harvey.

865 n. Chr. wurde in Persien Abu Bakr Al-Razi geboren. Er leitete das Hospital von Bagdad. In seinen 280 medizinischen Werken finden wir erste Pocken- und Masern-Diagnosen mit entsprechenden Therapievorschlägen.
Ein Name wie der des 1037 im zentralasiatischen Buchara geborenen Ibn Sina, auch Avicenna genannt, ist fast vergessen, obwohl er 450 medizinische Werke verfasste, Aristoteles übersetzt und kommentiert hatte. Auch der in Cordoba 1126 geborene Ibn Ruschd, Averroes, schrieb das Al-Kulliyad , das Colliget, das aus den 7 Teilen Anatomie, Pathologie, Diagnose, Therapie, Hygiene, Ernährung und Diät bestand. Zu nennen sei noch Abu Imran ibn Maymun, Maimonides, 1135 in Cordoba geboren. Er lebte bis 1204 in Ägypten, war Leibarzt des Sultans Saladin, gilt als wichtigster Denker des mittelalterlichen Judentums, schrieb seine medizinischen und philosophischen Hauptwerke in Arabisch: „Mäßigung in allem“ empfiehlt er und „Medikamente unterstützen lediglich den Körper, damit er sein Gleichgewicht wieder erlange“.

In Beziehung zur Medizin stand die Botanik. Alexander von Humboldt erinnerte: „Die Apothekerkunst ist von den Arabern geschaffen. Die ersten Vorschriften über Bereitung der Arzneimittel sind von ihnen ausgegangen und wurden durch die Schule von Salerno in Europa verbreitet“.
Die Arzneikunde war im 13. Jahrhundert so umfangreich, dass der Botaniker Ibn Al-Baitar aus Malaga mehr als 1400 pflanzliche Rezepturen und Drogen anzuwenden wusste. Die Versorgung der gesamten Bevölkerung war von den Apotheken aus gesichert. In Europa waren arabische Elixiere nur den reichen Patriziern zugänglich.
Jahrhundertelang waren Tausende von Karawanen durchs Morgenland geschaukelt, Kamele hoch beladen mit Heilpflanzen, Gewürzen, Mineralien, Weihrauch und Seide, die sowohl für die orientalischen Basare als auch für die Märkte des Abendlands bestimmt waren. Die grossen Handelsstrassen verliefen (Weihrauch- und Seidenstrasse) durch Städte, deren Namen sagenhafte Schönheit und schimmernde Pracht verhießen.
Über den Handel mit Europa – der religiöse Zwist rückte in den Hintergrund - war Arabien zu schriftlichem Rechnen, zur Algebra, sowie zum Wiegen und Messen gezwungen. Abu Al-Wafa und Al-Kashi dachten erstmals über spezifische Gewichte nach.

Erste Präzisionswaagen entstanden im 9. Jahrhundert. Zur gleichen Zeit verfasste auch der in Usbekistan geborene Mathematiker Muhamed Ibn Musa Al Hworithmi eine Dezimal-Aufgabensammlung zur Anleitung für Händler und Notare. Nach ihm wurde der Algorithmus benannt. Europa trennte sich von den Römern übernommener komplizierter Zählweise im 13. Jahrhundert und ersetzte sie durch arabische Zahlen..

Eng verbunden mit der Mathematik war die Astronomie. Erkenntnisse der Astronomen Al-Birmi, Nasir Al-Din Al-Tusi, Thabis Ibn Qurra, Ibn Yunus, Ibn Al-Shatir dienten der Astrologie, der Bestimmung der Gebetszeit, (mit Hilfe von Sand- und Sonnenuhren) der Ausrichtung nach Mekka und der Wahrnehmung des Neumondes. Wichtig, denn in der moslemischen Welt basiert der Kalender auf Mondphasen. All jene Wissenschaftler fanden die antiken Thesen des Ptolemäus’ widersprüchlich und behaupteten schon im 11. Jahrhundert, dass die Erde eine Kugel sei. Ihre Winkelmesser, Quadranten, Sextanten und das Astrolabium zur Bestimmung des Standes der Gestirne wurden vom späteren Europa gern übernommen. Sehr früh wurden Arbeiten über Ebbe und Flut, Morgenröte, Dämmerung, den Regenbogen, den Mondhof und die Bewegungen von Sonne und Mond verfasst. Deutliche Spuren der arabischen Astronomie finden wir bei den Sternennamen.

Doch erst Kopernikus und Galilei war es im XV. Jahrhundert vorbehalten, geozentrisches Denken in heliozentrisches zu korrigieren.
Im frühen Mittelalter reisten also die arabischen Gelehrten durch ihre Welt. Sie bedienten sich des Wissens der Karthographen Al-Balki (920 n. Chr), Al-Istakhri und Al-Muquddas. Ihr Atlas der islamischen Welt bestand aus 21 Landkarten und 3 Karten der Meere. Nord und Süd war verdreht, nicht wichtig, denn man glaubte, allein der moslemische Weltteil, der bis nach China reichte, sei besiedelt.

Bis ins ferne China war Ibn Battuta im XIII Jahrhundert vom Maghreb aus über Indien gereist. 29 Jahre war er unterwegs. Eine Rekord-Reise. Er hatte genug Zeit Flora, Fauna sowie Religionen und Sitten der fernen Länder in seinem Werk Aktuelles meiner Beobachtungen präzise zu beschreiben. Der berühmteste Reisende des IX. Jahrhunderts war Sindbad der Seefahrer, der Held aus 1001 Nacht, der 900 n. Chr. von Oman aus seine abenteuerlichen Reisen angetreten haben soll.

Aber die damalige Welt war nicht nur in Bewegung, sie siedelte auch. Exzellente Zeugnisse ihrer Baukunst finden sich von Alexandria über Basra bis Samarkand. Bagdad, 762 als Hauptstadt des abbasidischen Kalifats prächtig ausgebaut, gilt architektonisch als die ideale Stadt, außerdem als Hochburg der Gelehrsamkeit. Palast und Moschee waren von mehreren Ringen umgeben. Man begab sich durch vier verschiedene Portale ins Zentrum. 786 öffnete der mächtige Harun Al Rashid das erste Hospital in Bagdad. Jede islamische Stadt hatte eins. Ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion, wurden alle behandelt. Neben der reinen Krankenpflege wurden dort Ärzte ausgebildet. Hospitäler gewährten Verwundeten wie Genesenden Asyl.
Wahrscheinlich wandelten sie in den Hospital-Gärten. Der Koran verspricht den Gläubigen den Garten des Paradieses. Daher mag die Stärke der Araber auf dem Gebiet der Bodenkultivierung und Landschaftsgestaltung, der Bewässerung, der Einführung von Früchten und Pflanzen wie Zuckerrohr, Granatapfel, Aprikose und Pfirsich – und der Kultivierung menschlichen Zusammenlebens – herrühren. Wassertechnik (Hydraulik) beschäftigte den Orient wie den Okzident gleichermaßen. Die hängenden Gärten von Babylon gehörten zu den sieben Weltwundern. Die dunkle Welt des Mittelalter bekam durch Araber eine neue Lebensart.

Dazu gehörten Musik und Poesie. Gitarre, Mandoline und Laute stammen aus dem mittelalterlichen Kulturexport. Der über Nordafrika und Spanien nach Frankreich gelangte Troubadour-Gesang beeinflusste die mittelhochdeutsche Minne. Nicht zu vergessen seien die orientalischen Märchen mit ihren Feen und Zauberern, die Eingang in die europäische Literatur fanden.
Als die katholischen Könige Granada 1492 mit Feuer und Schwert eroberten, die Mongolen hundert Jahre zuvor Bagdad brutal zerstört hatten, wurde so manche wissenschaftliche Handschrift vernichtet. Trotzdem hat sich ein beachtlicher Wissens- und Wortschatz arabischer Herkunft erhalten, der heute als organischer Bestandteil unserer westlichen Sprachen empfunden wird.

„Lange hatte Europa an einem Unterlegenheitsgefühl gegenüber der islamischen Welt gelitten“, schreibt heute der britische Orientalist W. Montgomery Watt. „Europa konnte sich nur davon befreien, indem es das Bild des Islams entstellte und zugleich den arabischen Umweg verleugnete, auf dem es einen großen Teil seines antiken Erbes empfangen hatte.... Es gehört zu den aufregendsten neueren Erkenntnissen der westlichen Orientalistik, dass der Anteil des Islam am westlichen Selbstverständnis weit größer ist, als bisher angenommen“.

Samstag, 10. Januar 2009

Archäologen mitten in Zyperns Zwietracht


Die Ledrastreet ist nur wenige hundert Meter lang, doch wenn sich Uwe Müller auf seinem Weg zur Mittagszeit bei einem Eis und türkischem Kaffee entspannt, braucht er gut eine Stunde für die kurze Strecke. Gewöhnlich schwellen Autolärm und Marktgeschrei zwischen Büyükhan und Eleftherias Square zu dieser Tageszeit ab. So kann er deutlich das Glöckchen der nahen griechisch-orthodoxen Phaneromeni-Kirche hören, aber auch das Rufen des Muezzins von der großen Selimiye-Moschee. Das ist Zypern. Alles ist hier vielschichtig. Dem Einerseits und Andererseits, das die Insel seit 1963 zerschneidet, kann  Müller nicht entkommen. Er arbeitet seit acht Jahren als Archäologe an der Eastern Mediterranean University (EMU) von Magusa (Famagusta) im türkischen Teil der Insel. Manchmal besucht er Freunde im griechischen Süden.  Dabei muss er eine Grenze passieren. Dann ist es mit seiner Entspannung vorbei. Frustration und Enttäuschung steigen in ihm hoch. 

Nun sollte man meinen, dass Wissenschaft  heute eine internationale Angelegenheit ist, die normalerweise keine Grenzen kennt. In Europas südöstlichstem Zipfel ist das freilich anders. Dort lebt die Forschung mit einer Grenze, an der sich die Geister scheiden. Den einen, den Griechen,  gilt sie als unerträglich. Die anderen, die Türken, beziehen aus ihr Sicherheit und Orientierung.

Als die Mittelmeerinsel vor vier Jahren Mitglied der Europäischen Union geworden war, glaubten die tapferen Brüsseler EU-Erweiterer,  die Grenze zwischen dem  griechischen  und dem türkischen Teil werde sich automatisch in Luft auflösen. 

Die Brisanz der unmittelbaren Konfrontation, die zwischen dem christlich-orthodox-griechischen und dem islamisch-orientalisch- türkischen Kulturkreis herrscht, hatten sie unterschätzt.

Dass aber gerade Archäologen durch einen außergewöhnlichen Fund in Nord-Zypern Opfer dieser Grenze würden, sogar tiefe Gräben durch die Forscherszene ziehen und Politiker in Aufregung versetzen könnten, war schon gar nicht zu erwarten.

Zwei US-amerikanische Professoren von der Eastern Mediterranean University (EMU) in Magusa (Famagusta) wandern durchs nord-zyprische Karpas-Hinterland, dort, wo meistens mehr Esel als Menschen umherstrolchen. Sie stoßen auf eigenartige Metallstücke und  informieren  den Fachmann,  den deutschen Archäologen der EMU, Dr. Uwe Müller.

Was sich ihm darbot, konnte nur durch eine unmittelbar Not-Aktion geschützt und gerettet werden. 26 gut erhaltene Gefäße, Weihrauchbrenner und Werkzeuge - alle offensichtlich aus der späten Bronze-Zeit, seit über 3000 Jahren versteckt unter einem Hügel mit vielen Namen:  Königshügel, auch Kaleburnu-Kraltepe oder Galinoporni-Vasili.


Unter Müllers Leitung, der türkisch-zyprischen Museums- und Antiquitäten-Verwaltung, dem Archäologie-Kollegen Bülent Kizilduman sowie  Akademikern aus Tübingen und Freiburg begannen Ausgrabungen im August 2005, finanziert von Deutschlands Fritz-Thyssen-Stiftung.

Da in der heutigen Zeit nur noch ganz selten so gut erhaltene Artefakte aus der Späten-Bronze-Zeit (1300 v. Chr) gefunden werden, war Sorgfalt und Behutsamkeit angesagt:  Zuerst wurden Räume mit vorhellenistischen Fresken freigelegt, in denen sich eine beachtlicher Reichtum an Luxusartikeln befand: Krüge, Kosmetik-Näpfe, Waagschalen mit ziselierter Gewichtseinteilung, Mörser, Stößel und Stöpsel. “Ihre Anfertigung aus Kupfer-Zinnlegierung erfüllt hohe technische Ansprüche. Vergleichbare Objekte sind bisher nur aus so prominenten Fundorten wie Ugarit, Megiddo oder aus Akko bekannt”, berichtet Müller. Er erzählt weiter und versetzt seine Zuhörer Jahrtausende zurück. Er lässt hoch beladene Schiffe aus der Levante kommend auf der wichtigen Route nach Anatolien und in die Ägäis im geschützten zyprischen Hafen einlaufen. Er beschreibt emsige, um Fracht feilschende Kaufleute,  um  Kupferbarren, um duftende Öle oder um berauschendes Opium. Wir meinen schließlich, eine prächtige Stadt in einer früh globalisierten, grenzenlosen Welt zu erkennen, deren Reichtum vor allem  auf  Kupfer-Ausfuhr (daher der Name Zyperns) beruht. Doch ihre Mauern sind eingestürzt, ihr Hafen versandet, ihr Name ging verloren. Ein treffliches Beispiel für Zypern gesamtes Geschick.

Schon immer haben  neue Eroberer nach der drittgrößten und kupferreichen Mittelmeerinsel gegriffen. Sie etablierten sich - und wurden vertrieben. Die vielfältigen Einflüsse lassen  sich  kaum alle aufzählen.

Wer vom Osten her aus den Gebieten der Hochkulturen an Euphrat und Tigris oder vom Nil nach Europa drängte, nahm den Weg über Zypern: das legendäre und kriegerische Reich der Hyksos, die Ägypter, Phönizier, Assyrer,  Perser und  Ptolemäer, später die Araber und von 1571 die osmanischen Türken. Ihnen gehörte Zypern  bis 1878, dem Beginn der britischen Kolonialzeit.
In umgekehrter Stoßrichtung war es nicht anders: die Achäer sowie Alexander der Große, die Römer und Byzantiner, der englische König Richard Löwenherz, die Templer und  die Kreuzfahrer, das französische Adelsgeschlecht der Lusignans, Genua und Venedig. Seit Jahrtausenden kreuzen sich hier die Machtinteressen. Auch in Zyperns jüngster Geschichte.

Schon kurz nachdem sich die Briten 1960 auf ihre drei militärischen Insel-Stützpunkte zurückgezogen und die Insel in die Unabhängigkeit entlassen hatten, radikalisierte sich das Misstrauen zwischen Griechen und Türken zum Bürgerkrieg. Erzbischof und Präsident Makarios kündigte die neue Verfassung der Republik Zypern  auf und drängte die türkischen Zyprer aus der Regierung.  Die Athener nationalistischen Obristen versorgten paramilitärische Verbände der Inselgriechen mit Waffen. Am 15. Juli 1974 putschten diese gegen die eigene griechisch-zyprische Regierung, um die Vereinigung Zyperns mit Griechenland durchzusetzen. Die Türkei sah die Zyperntürken in Gefahr und intervenierte am 20. Juli 1974. Seitdem herrscht zwar Ruhe an der Grenze zwischen  den beiden Volksgruppen, doch ohne Friedensabkommen.  Der letzte Versuch war der Friedensplan des UN-Generalsekretärs Annan, dem die türkischen Zyprer 2004 mehrheitlich zustimmten. Allerdings waren die griechischen Zyprer dagegen, aus gutem Grund. Sie hatten mit Erfolg auf  das historische Vergessen gesetzt. Dadurch war der Zypern-Horizont der Brüsseler Beamten dermaßen eingeschränkt, dass diese vor der EU-Aufnahme der Republik Zypern zu klären versäumten hatten, auf welches Territorium sich das Hoheitsgebiet des Antragstellers eigentlich erstreckte. Man hatte sich einfach der simplen griechischen Sicht angeschlossen:  
“Der türkische Nordteil gehört zur “Republik Zypern”, denn er ist seit 1974  vom türkischen Militär besetzt. Alles, was dort passiert, ist illegal”.

Das entspricht zwar der panhellenistischen Staatsdoktrin, aber nicht den historischen Tatsachen: Dass diese Republik schon seit 1963 de jure nicht mehr besteht, also auch illegal ist, das wurde in Europa einfach übersehen, was die griechischen Zyprer in eine komfortable Position hievte. Sie dürfen ungerührt und unkritisch weiter auf strenge Einhaltung des Boykotts gegen die türkisch-zyprische Bevölkerung und die von ihr gewählten und eingerichteten Institutionen drängen. Die gründete 1983 ihren eigenen Staat, die TRNZ, Türkische Republik Nord-Zypern. Aus türkischer Sicht bestehen zwei Inselstaaten. Eine Einigung auf einen einzigen gemeinsamen Staat liegt in weiter Ferne.

Darauf können wir nicht warten”, sagt Dr. Uwe Müller, “denn ein kulturelles Welterbe ist in größter Gefahr. Plünderer gruben an mehreren Stellen und zerstörten bereits die archäologische Substanz. Der Fundort ist gefährdet, so dass es meine Verantwortung und Pflicht ist,  diese einzigartige  archäologische Stätte vor Plünderern, vor der Landwirtschaft, vor Erosion hier und jetzt zu schützen”.

Doch vom griechischen Teil aus wurden die Forscher sogleich beschuldigt, durch diese Grabung in “türkisch besetztem Gebiet” internationales Recht zu missachten. Sogar der Botschafter der “Republik Zypern” in Berlin benachrichtigte den Rektor der Universität Tübingen, dass seine Professoren an einer “illegalen Ausgrabung” beteiligt seien. Der prominente zyperngriechische Archäologe  Vassos Karageorgis nannte das deutsche Engagement “schockierend…” und “..dies wird ernste Auswirkungen haben”.

Nach dieser erpresserischen Drohung beeilte sich die Fritz-Thyssen-Stiftung, ihre finanzielle Unterstützung zurückzuziehen. 

Müller lässt sich nicht erpressen. Zwei ebenso unbeugsame Professoren aus Tübingen helfen ihm, Ernst Pernicka und Martin Bartelheim - außerdem  die Regierung der TRNZ. Sie berufen sich auf die Haager Konvention vom 26. März 1999, die von 39 Staaten signiert, in Artikel 9 b ausdrücklich Rettungsgrabungen in besetzten  Gebieten erlaubt. Trotzdem werden Einladungen an Müller und seine Kollegen zu internationalen Kongressen  -  auf  Betreiben der eingebildeten Regierung von Griechisch-Zypern  - regelmäßig  zurückgezogen, von Veranstaltern, die politischen Druck auf wissenschaftliche Arbeit fürchten. 

“Die Grabenkämpfe der Politiker dauern nun schon ein halbes Jahrhundert.
Wir Archäologen sind ihre Opfer. Trotzdem versuchen wir so gut es  - unter unserer prekären  Finanzlage - möglich ist, weiter daran zu arbeiten, das Geheimnis der anscheinend  damals globalen, grenzenlosen Welt zu ergründen und bald in einem Museums-Gebäude der Weltöffentlichkeit zugänglich zu machen.”

Und Martin Kobler, Leiter der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, formuliert eine Lösung für den Zwist auf Zypern: “ Wo Politik nicht weiterkommt, muss Kultur ansetzen”.

Heidemarie Blankenstein,
Zypern, Berlin, im Januar 2009