Dienstag, 11. Dezember 2007

Zypern, Ein Zwischenruf


Wie ein Blitz aus dem heiteren Himmel des Sommers 1974 überraschte die türkische Invasion das friedliche, fruchtbare, multikulturelle Zypern, das sich unter einem gütigen Patriarchen nach langer Unterdrückung durch Osmanen und Briten seiner jungen Unabhängigkeit erfreute.

So stellte Präsident und Erzbischof Makarios den Fall seines Staates bei seinem ersten Auftreten nach der türkischen Intervention vom 20. Juli 1974 vor den Vereinten Nationen in New York dar, und so übernehmen die Medien und auch Teile der offiziellen Geschichtsschreibung, die Schulbücher – wahrscheinlich nicht nur in Griechenland – und schließlich sogar die Brüsseler Bürokraten und Europapolitiker die Perzeption der türkischen Aktivitäten als ungerechtfertigten, völkerrechtswidrigen Gewaltakt eines auf nationalistische Expansion bedachten Staates.

Viele der Akteure handeln dabei wider besseres Wissen, denn die Ereignisse von 1963/64, die zum Aufbrechen der Verfassung von 1960 und sogar schon zur Stationierung einer der ersten UN-Friedenstruppen führten, sind in der Presse und bei den Diskussionen im Rahmen der UN hervorragend dokumentiert. Andere mögen aus Desinteresse oder müde der „zyprischen Querelen“ ignoriert haben, dass nicht erst die innergriechischen Auseinandersetzungen des Jahres 1974 zum Auslöser der türkischen Intervention wurden, sondern das türkische Interventionsrecht schon 1963 und danach immer wieder alle Ereignisse in und um Zypern überschattete und in politische Überlegungen einbezogen werden musste, dass die Türkei nicht ohne Grund ihre Interventionsstreitkräfte im Süden in ständiger Alarmbereitschaft hielt.

Einige Anmerkungen, die beispielhafte Ereignisse des Jahres 1972 betreffen, können zur Erläuterung dienen, denn auch sie werden heute kaum mehr erwähnt und sollen wahrscheinlich dem Vergessen anheim fallen, weil sie der herrschenden, manipulierten Auffassung vom „türkischen Überfall“ widersprechen. Doch machen sie deutlich, welchen Provokationen die türkische Garantorstellung in Zypern immer wieder ausgesetzt war:

Die Insel ist schon 1972 faktisch dreigeteilt: Nur im griechisch-zyprischen Gebiet kann die griechisch-zyprische Regierung der „Republik Zypern“ ein Machtmonopol ausüben, die britischen Gebiete Dhekelia und Akrotiri unterstehen der Souveränität Londons. Viele türkische Enklaven, besonders die große im Norden zwischen Nikosia und Kyrenia, dürfen und können alleine von keinem Griechisch-Zyprer betreten werden. Hier kontrollieren die türkisch-zyprische Selbstverwaltung und die Turkish Fighters rigide ihr Gebiet. Besondere Straßen werden zur Umgehung des türkisch-zyprischen Sektors im Norden gebaut, und nur 2 x täglich dürfen Zypern-Griechen per Auto unter strikter UN-Kontrolle und Begleitung in einem kilometerlangen Konvoi diesen Sektor direkt durchfahren.

Auf der Fahrt durch den Konvoi-Korridor kann man die großen Flächen mit einfachen Flüchtlingsunterkünften beobachten, die von den türkisch-zyprischen Behörden nach 1964 für die aus ihren bedrohten Wohnorten geflüchteten Zyperntürken errichtet wurden – mit Mitteln aus Ankara, um eine Abwanderung oder Evakuierung im großen Stil zu verhüten. Kein Griechisch-Zyprer darf seit 1964 (und später noch bis 2002 !) den türkischen Sektor betreten; Türkisch-Zyprer können etwa seit 1968 - als eine Art Gastarbeiter zur Behebung des Arbeitskräftemangels – wieder in das griechisch-zyprische Gebiet überwechseln.

Offizielle interkommunale Gespräche zwischen den Volksgruppen finden zwar statt, machen aber nur sehr zähflüssig Fortschritte; Staatspräsident und Ethnarch (Volksgruppenführer) Makarios identifiziert sich nicht mit ihnen und lässt seinen Vertrauten Glavkos Klerides verhandeln.

Da fordern am 2. März 1972 und erneut dringlich am 27. März 1972 die drei Bischöfe der zyprisch-orthodoxen Kirche – und parallel auch der orthodoxe Erzbischof  von Athen und ganz Griechenland Hieronymus – Erzbischof Makarios ultimativ auf, von seinem Amt als Staatspräsident zurückzutreten, und drohen, im Falle der Weigerung seine Absetzung als Erzbischof auszusprechen. Er habe – so u.a. ihre Begründung – sein weltliches Amt in einer Art ausgefüllt, die gegen die nationalen griechischen Interessen und gegen die Interessen der Kirche gerichtet gewesen sei, indem er versucht habe, ein „Cyprus consciousness“ zu schaffen. Er sei außerdem für den Prestigeverlust der Kirche, die Ausbreitung des Nihilismus und Atheismus, das Anwachsen des Kommunismus und die Festigung der türkischen Position verantwortlich (so und in dieser Reihenfolge !).

Hauptargument ist schließlich, die von Makarios betriebene Politik des „feasible“ verstoße gegen das Ideal der ENOSIS und führe zur Trennung Zyperns vom Volksganzen („national trunk“). Am 1. Juli 1972 wiederholen die Metropoliten ihre Aufforderung zum Rücktritt und setzen dem Erzbischof (und Präsidenten) zur Entscheidung eine Frist von 10 Tagen.

Der Angriff ist nur aus der politischen Konfrontation Athen – Nikosia heraus verständlich. Makarios mit seiner Unabhängigkeitspolitik, seiner 30.000 Mann starken Nationalgarde und seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Zyperntürken steht dem Ausgleich Athen – Ankara und dem panhellenischen Hegemonieanspruch Griechenlands im Wege. Athen weiß in dieser Lage die Metropoliten für sich zu gewinnen. Die Reaktion auf diese konzertierte Aktion der Obristen und Metropoliten ist jedoch anders als erwartet:

Noch innerhalb der Frist weist Makarios die Angriffe scharf und klar zurück: „With the wolves swooping down the shepherd does not desert the sheep and flee“. Durch zahllose Treue- und Unterstützungsbekundungen der zyperngriechischen Bevölkerung geht er gestärkt aus der Konfrontation hervor.

Außenpolitisch vertieft sich der Graben zu Athen, doch das übrige Ausland steht fest geschlossen zu Makarios. Viele Staaten der Dritten Welt, in denen Zypern und besonders Präsident Makarios hohes Ansehen genießen, übersenden Sympathieerklärungen.

Wichtiger ist jedoch, dass auch die westliche Welt diesen Manövern zur Absetzung des Staatspräsidenten nicht tatenlos zusieht: Die USA, denen ein neuer Unruheherd im Mittelmeer bei der 1972 stärker werdenden Tendenz zur politischen Entspannung und zum Abbau überseeischer Verpflichtungen schweres Kopfzerbrechen bereiten würde, informieren die Athener Regierung umgehend, dass sie an der Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit an der Südostflanke der NATO aufs äußerste interessiert seien. Ähnlich interveniert Großbritannien, das bei jeglicher Unruhe auf Zypern um den Fortbestand seiner souveränen Basen fürchten muß. Und die Türkei? Beobachter und Gesprächspartner der türkischen Diplomatie im Jahre 1972 sind sich einig, dass militärisch-machtpolitisch nur eine Kurzschlußhandlung  extrem nationalistischer Kreise dazu führen kann, den Präsidenten abzusetzen. Mit dem gewaltsamen Sturz eines verfassungsmäßig gewählten Staatsoberhaupts würden die nationalistisch-klerikalen Putschisten die Prinzipien westlicher Demokratie gröblich verletzen. Vor allem wäre die Frage nicht gelöst, was nach Makarios käme. Das Resumée der politischen Gespräche mit türkischen Partnern zu diesem Punkt habe ich in einer Aufzeichnung vom August 1972 festgehalten: „Sollten diese Putschisten nach einer Absetzung Makarios’ versuchen, ohne vorhergehende Wahl eine farblose Marionette an seine Stelle zu setzen, so käme es mit großer Wahrscheinlichkeit zu chaotischen innenpolitischen Zuständen, wenn nicht zum Bürgerkrieg. Einer weiterhin zu Makarios stehenden, aufbegehrenden und aus früheren Zeiten her gut bewaffneten Bevölkerung gegenüber müsste hart durchgegriffen werden, trotz aller ENOSIS-Parolen würden die Kommunisten und auch weitere Teile der Bevölkerung der indirekten Herrschaft des Athener Obristenregimes starken Widerstand entgegensetzen, und nicht zuletzt würden im Falle von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen innerhalb des griechischen Bevölkerungsteiles die Türken unter Berufung auf das Sicherheitsinteresse ihrer in isolierten oder gemischten Gemeinden wohnenden Volksangehörigen versuchen, die Teilung der Insel unter Ausdehnung der jetzt schon von ihnen beherrschten Enklaven zu vollziehen.“
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1972 kam es deshalb doch nicht zum vollen Ausbruch des Konflikts zwischen den Athener Obristen, ihren chauvinistischen Partnern in Nikosia und dem Präsidenten Makarios. Erst zwei Jahre später ließen sich die radikalen Panhellenen in Griechisch-Zypern  nicht mehr bremsen und stürzten mit Makarios endgültig  die schon seit 1963 nur noch auf dem Papier stehende verfassungsmäßige Ordnung Zyperns. Damit kam aber  fast automatisch die sich schon Jahre vorher abzeichnende Entwicklung in Gang, die zu der sich inzwischen verfestigenden  Teilung der Insel führte.