Sehen ist Sünde in der arabischen Welt. Obwohl der
Oman, jenes kleine Sultanat ganz im Osten der Arabischen Halbinsel, keine
gesetzlichen Kleidervorschriften kennt, verhüllen sich die meisten Frauen. Als
Zeichen ihres Anstands und ihrer Frömmigkeit laufen sie herum wie katholische
Nonnen - mit bodenlangem schwarzem Umhang und dem Kopftuch, dem Hijab.
Wenn nun Sehen sündig ist, wie ist es dann mit dem Hören?
Hören ist erlaubt. Diese Lücke nutzte Klaus Geyer,
Deutscher Botschafter in Maskat. Er brachte - im Rahmen von Kultur@Germany - den Klang
der Poesie (Sounds of Poetry) nach Oman, und zwar ins traditionelle Bait
Zubair, ein Museum, das in Alt-Maskat liegt und von dessen Zinnen sich bei
Sonnenuntergang ein frappierender Farbenwechsel von Pink bis Kobaltblau
beobachten lässt. Ein Phänomen, das auf den Lichtreflexen der stark
eisenerzhaltigen kahlen Felsmassive beruht, die Maskat umgeben.
Der Festsaal des Zubair-Museums wurde für diesen
Anlass mit wertvollen Teppichen, Kissen und Polstern gemütlich ausgestattet.
Ein paar Stühle fehlten nicht, aber nur für jene, die wissen, dass nach langem
Lagern das Aufstehen schwer werden kann.
Mitten drin ein schwarzer Konzertflügel sowie ein
Pult. Der ehrwürdige Mohammed Al Zubair, Unternehmer, Fotograf, Sammler,
Museumsgründer und Kunstmäzen war persönlich erschienen.
Und dann hoben Dr. Mohammed Khalifa vom
Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg und der junge omanische Poet
Abdulrahim Al Hinaie an, Gedichte in Arabisch und Deutsch vorzutragen. Ihre
Worte wurden von der Pianistin Laura Feldmann sanft begleitet. Der Klang von
Bach, Schumann, Chopin, Debussy umschmeichelte die Ohren der Zuhörer. Die Sängerin
Stefanie Golisch rundete das Programm mit Liedern von Schubert, Brahms und
Mendelssohn-Bartholdy ab.
Das omanische und europäische Publikum liess sich
freiwillig an zwei Abenden (16. / 17. März 09) ins Paradies von Ton und Wort entführen,
“Sage ihr
Die du liebst
Sie sei schön
Und sie wird
schön
Nach dem Maß
deiner Liebe”
in ein geheimes Paradies, in dem Gefühle ausgedrückt
werden, die in der realen muslimischen Welt nicht gezeigt werden dürfen. Nur in
der Poesie folgt das Leben den Gesetzen des Herzens, dort dürfen sogar Hüllen
von weiblicher - aber auch männlicher -
Schönheit fallen. So ist die Poesie lingua franca der Araber und Perser.
Kein Wunder, dass sich viele europäische Dichter,
besonders jene des 18. und 19. Jahrhunderts, von der arabischen Poesie
inspirieren ließen. Die prominentesten unter ihnen waren Goethe, Schiller und
Heine.
“Zwei Abende” - wie es Botschafter Geyer sagte - “des
Beweises von Menschlichkeit, die genau
ins UNESCO-Programm des jährlichen “World Poetry Day” zum Frühlingsanfang passen“. Oder mit den einfühlsamen Worten der
großen Orientalistin Annemarie Schimmel:
“Poesie allein ist Weltversöhnung”.