Wie ein Blitz aus dem
heiteren Himmel des Sommers 1974 überraschte die türkische Invasion das
friedliche, fruchtbare, multikulturelle Zypern, das sich unter einem gütigen
Patriarchen nach langer Unterdrückung durch Osmanen und Briten seiner jungen
Unabhängigkeit erfreute.
So stellte Präsident
und Erzbischof Makarios den Fall seines Staates bei seinem ersten Auftreten
nach der türkischen Intervention vom 20. Juli 1974 vor den Vereinten Nationen
in New York dar, und so übernehmen die Medien und auch Teile der offiziellen
Geschichtsschreibung, die Schulbücher – wahrscheinlich nicht nur in
Griechenland – und schließlich sogar die Brüsseler Bürokraten und Europapolitiker
die Perzeption der türkischen Aktivitäten als ungerechtfertigten,
völkerrechtswidrigen Gewaltakt eines auf nationalistische Expansion bedachten
Staates.
Viele der Akteure
handeln dabei wider besseres Wissen, denn die Ereignisse von 1963/64, die zum
Aufbrechen der Verfassung von 1960 und sogar schon zur Stationierung einer der
ersten UN-Friedenstruppen führten, sind in der Presse und bei den Diskussionen
im Rahmen der UN hervorragend dokumentiert. Andere mögen aus Desinteresse oder
müde der „zyprischen Querelen“ ignoriert haben, dass nicht erst die
innergriechischen Auseinandersetzungen des Jahres 1974 zum Auslöser der
türkischen Intervention wurden, sondern das türkische Interventionsrecht schon
1963 und danach immer wieder alle Ereignisse in und um Zypern überschattete und
in politische Überlegungen einbezogen werden musste, dass die Türkei nicht ohne
Grund ihre Interventionsstreitkräfte im Süden in ständiger Alarmbereitschaft
hielt.
Einige Anmerkungen,
die beispielhafte Ereignisse des Jahres 1972 betreffen, können zur Erläuterung
dienen, denn auch sie werden heute kaum mehr erwähnt und sollen wahrscheinlich
dem Vergessen anheim fallen, weil sie der herrschenden, manipulierten
Auffassung vom „türkischen Überfall“ widersprechen. Doch machen sie deutlich,
welchen Provokationen die türkische Garantorstellung in Zypern immer wieder
ausgesetzt war:
Die Insel ist schon
1972 faktisch dreigeteilt: Nur im griechisch-zyprischen Gebiet kann die
griechisch-zyprische Regierung der „Republik Zypern“ ein Machtmonopol ausüben,
die britischen Gebiete Dhekelia und Akrotiri unterstehen der Souveränität
Londons. Viele türkische Enklaven, besonders die große im Norden zwischen
Nikosia und Kyrenia, dürfen und können alleine von keinem Griechisch-Zyprer
betreten werden. Hier kontrollieren die türkisch-zyprische Selbstverwaltung und
die Turkish Fighters rigide ihr
Gebiet. Besondere Straßen werden zur Umgehung des türkisch-zyprischen Sektors im
Norden gebaut, und nur 2 x täglich dürfen Zypern-Griechen per Auto unter
strikter UN-Kontrolle und Begleitung in einem kilometerlangen Konvoi diesen
Sektor direkt durchfahren.
Auf der Fahrt durch
den Konvoi-Korridor kann man die großen Flächen mit einfachen
Flüchtlingsunterkünften beobachten, die von den türkisch-zyprischen Behörden
nach 1964 für die aus ihren bedrohten Wohnorten geflüchteten Zyperntürken
errichtet wurden – mit Mitteln aus Ankara, um eine Abwanderung oder Evakuierung
im großen Stil zu verhüten. Kein Griechisch-Zyprer darf seit 1964 (und später
noch bis 2002 !) den türkischen Sektor betreten; Türkisch-Zyprer können etwa
seit 1968 - als eine Art Gastarbeiter zur Behebung des Arbeitskräftemangels –
wieder in das griechisch-zyprische Gebiet überwechseln.
Offizielle
interkommunale Gespräche zwischen den Volksgruppen finden zwar statt, machen
aber nur sehr zähflüssig Fortschritte; Staatspräsident und Ethnarch
(Volksgruppenführer) Makarios identifiziert sich nicht mit ihnen und lässt
seinen Vertrauten Glavkos Klerides verhandeln.
Da fordern am 2. März
1972 und erneut dringlich am 27. März 1972 die drei Bischöfe der
zyprisch-orthodoxen Kirche – und parallel auch der orthodoxe Erzbischof von Athen und ganz Griechenland Hieronymus –
Erzbischof Makarios ultimativ auf, von seinem Amt als Staatspräsident
zurückzutreten, und drohen, im Falle der Weigerung seine Absetzung als
Erzbischof auszusprechen. Er habe – so u.a. ihre Begründung – sein weltliches
Amt in einer Art ausgefüllt, die gegen die nationalen griechischen Interessen
und gegen die Interessen der Kirche gerichtet gewesen sei, indem er versucht
habe, ein „Cyprus consciousness“ zu schaffen. Er sei außerdem für den
Prestigeverlust der Kirche, die Ausbreitung des Nihilismus und Atheismus, das
Anwachsen des Kommunismus und die Festigung der türkischen Position
verantwortlich (so und in dieser Reihenfolge !).
Hauptargument ist
schließlich, die von Makarios betriebene Politik des „feasible“ verstoße gegen
das Ideal der ENOSIS und führe zur Trennung Zyperns vom Volksganzen („national
trunk“). Am 1. Juli 1972 wiederholen die Metropoliten ihre Aufforderung zum Rücktritt
und setzen dem Erzbischof (und Präsidenten) zur Entscheidung eine Frist von 10
Tagen.
Der Angriff ist nur
aus der politischen Konfrontation Athen – Nikosia heraus verständlich. Makarios
mit seiner Unabhängigkeitspolitik, seiner 30.000 Mann starken Nationalgarde und
seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Zyperntürken steht dem Ausgleich Athen
– Ankara und dem panhellenischen Hegemonieanspruch Griechenlands im Wege. Athen
weiß in dieser Lage die Metropoliten für sich zu gewinnen. Die Reaktion auf
diese konzertierte Aktion der Obristen und Metropoliten ist jedoch anders als
erwartet:
Noch innerhalb der
Frist weist Makarios die Angriffe scharf und klar zurück: „With the wolves
swooping down the shepherd does not desert the sheep and flee“. Durch zahllose
Treue- und Unterstützungsbekundungen der zyperngriechischen Bevölkerung geht er
gestärkt aus der Konfrontation hervor.
Außenpolitisch
vertieft sich der Graben zu Athen, doch das übrige Ausland steht fest
geschlossen zu Makarios. Viele Staaten der Dritten Welt, in denen Zypern und
besonders Präsident Makarios hohes Ansehen genießen, übersenden
Sympathieerklärungen.
Wichtiger ist jedoch,
dass auch die westliche Welt diesen Manövern zur Absetzung des
Staatspräsidenten nicht tatenlos zusieht: Die USA, denen ein neuer Unruheherd
im Mittelmeer bei der 1972 stärker werdenden Tendenz zur politischen
Entspannung und zum Abbau überseeischer Verpflichtungen schweres Kopfzerbrechen
bereiten würde, informieren die Athener Regierung umgehend, dass sie an der
Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit an der Südostflanke der NATO aufs
äußerste interessiert seien. Ähnlich interveniert Großbritannien, das bei
jeglicher Unruhe auf Zypern um den Fortbestand seiner souveränen Basen fürchten
muß. Und die Türkei? Beobachter und Gesprächspartner der türkischen Diplomatie
im Jahre 1972 sind sich einig, dass militärisch-machtpolitisch nur eine
Kurzschlußhandlung extrem
nationalistischer Kreise dazu führen kann, den Präsidenten abzusetzen. Mit dem
gewaltsamen Sturz eines verfassungsmäßig gewählten Staatsoberhaupts würden die
nationalistisch-klerikalen Putschisten die Prinzipien westlicher Demokratie
gröblich verletzen. Vor allem wäre die Frage nicht gelöst, was nach Makarios
käme. Das Resumée der politischen Gespräche mit türkischen Partnern zu diesem
Punkt habe ich in einer Aufzeichnung vom August 1972 festgehalten: „Sollten
diese Putschisten nach einer Absetzung Makarios’ versuchen, ohne vorhergehende
Wahl eine farblose Marionette an seine Stelle zu setzen, so käme es mit großer
Wahrscheinlichkeit zu chaotischen innenpolitischen Zuständen, wenn nicht zum
Bürgerkrieg. Einer weiterhin zu Makarios stehenden, aufbegehrenden und aus
früheren Zeiten her gut bewaffneten Bevölkerung gegenüber müsste hart
durchgegriffen werden, trotz aller ENOSIS-Parolen würden die Kommunisten und
auch weitere Teile der Bevölkerung der indirekten Herrschaft des Athener
Obristenregimes starken Widerstand entgegensetzen, und nicht zuletzt würden im
Falle von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen innerhalb des griechischen
Bevölkerungsteiles die Türken unter Berufung auf das Sicherheitsinteresse ihrer
in isolierten oder gemischten Gemeinden wohnenden Volksangehörigen versuchen,
die Teilung der Insel unter Ausdehnung der jetzt schon von ihnen beherrschten
Enklaven zu vollziehen.“
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1972 kam es deshalb
doch nicht zum vollen Ausbruch des Konflikts zwischen den Athener Obristen,
ihren chauvinistischen Partnern in Nikosia und dem Präsidenten Makarios. Erst
zwei Jahre später ließen sich die radikalen Panhellenen in Griechisch-Zypern nicht mehr bremsen und stürzten mit Makarios
endgültig die schon seit 1963 nur noch
auf dem Papier stehende verfassungsmäßige Ordnung Zyperns. Damit kam aber fast automatisch die sich schon Jahre vorher
abzeichnende Entwicklung in Gang, die zu der sich inzwischen
verfestigenden Teilung der Insel führte.