he mir schwarz vor Augen wurde, hatte ich den blauen Himmel über dem
Flugplatz von El Alto bei La Paz gesehen
- 4.080 Meter hoch - nicht von jedem Flachland-Passagier zu verkraften. Mit Sauerstoffmaske im Gesicht und einem
Indio-Doktor vor Augen kam ich zu mir -
und dorthin, wohin ich wollte – in die Anden. Freundlich reichte er mir eine
Tasse Tee: „Das hilft gegen Höhenkrankheit:
Mate de Coca - Koka-Tee“. Er
bietet mir das an, was die Lufthansa,
als sie noch in La Paz landete, allen
Passagieren servierte – das Standardgetränk, das von Kolumbien über Peru bis
Bolivien bei Unpässlichkeiten aller Art Hilfe
verspricht. Jedes Koka-Blatt enthält Proteine, Kohlehydrate, Mineralien und
Vitamine - lebenswichtig für die
schlecht ernährten Land- und Minenarbeiter der Anden.
Schon die Inkas kauten Koka, was die christlichen Konquistadoren bei ihrer Ankunft in Südamerika als heidnische
Handlung, als „Gespräch mit dem Teufel“
(hablar con el demonio), verdammten und
auf dem Konzil von Lima 1551 untersagten. Jahre später erkannten die spanischen
Kolonialherren, dass Koka die Leistung der zwangsrekrutierten Indios in den
Gold- und Silberminen erhöhte und der Kokahandel ein lukratives Geschäft war. Bis heute vertrauen Indios auf „mama cocas“ sanfte Kraft, was die
Weltgesundheitsorganisation WHO (World Health Organization) bestätigt: „Der
Konsum von Kokablättern hat positive therapeutische und soziale
Funktionen.“
Allerdings mache ich mich nach dem Betäubungsmittelgesetz schuldig, wenn
ich nur ein Koka-Blatt oder einen Koka-Teebeutel mit nach Hause nehme.
Auch als schuldig wurde Alfonso
ins Gefängnis von Chimoré, das mitten im
Koka-Anbaugebiet der Provinz Chapare liegt, (im bolivianischen Departamento Cochabamba), eingeliefert.
Den 15-Jährigen hatte die UMOPAR, (Unidad Móvil de Patrullaje Rural) die paramilitärische
Drogen-Polizei, mit einem Sack Koka-Blättern auf den Schultern erwischt.
Schlotternd vor Angst blickt er tränenvoll auf die Gitter, die ab sofort für zehn
Jahre sein Leben umschließen. Nach dem bolivianischen Drogen-Gesetz muss - in Umkehr der Beweislast - Alfonso seine
Unschuld beweisen, nicht der Staatsanwalt die Schuld. Alfonsos Blick tastet über Körper, die dicht
auf dem Zellen-Boden hocken. Alles Bauern – keine Verbrecher. Sie reichen dem
Neuen ein Taschentuch für die Tränen,
leihen ihm Löffel und Decke, denn der Staat stellt nicht einmal einen
Pappkarton als Bett zur Verfügung. Aber daneben errichtet er schon einen neuen Gefängnis-Trakt.
Bolivien betreibt das ehrgeizigste Anti-Drogen-Programm Südamerikas. Aber
nicht aus eigenem Antrieb, sondern weil für die USA Kokain als Problemdroge
Nummer eins gilt. Mit Zuckerbrot und Peitsche wurden die Andenstaaten gezwungen,
ihre eigene Bevölkerung einzusperren:
US-Entwicklungshilfe empfängt nur, wer Wohlverhalten zeigt, wer
Koka-Felder vernichtet und Bauern verhaftet.
Seit Präsident George Bush Senior
das Koka-Blatt als Geißel der Menschheit bezeichnet,
lauten die markigen US-Parolen: „War on drugs, Krieg den Drogen, going to the
sources, die Wurzeln bekämpfen“. Für Wahington
ist es am billigsten, das Drogen-Angebot in den Anbaugebieten zu verbieten, auf
zero, auf Null zu senken. 50 verschiedene Ministerien und Behörden, allein auf
US-Bundesebene, sind in den Kampf gegen den Drogenkonsum- und -handel involviert, darunter zwei Hauptakteure: das Verteidigungsministerium und die bereits von
Präsident Nixon gegründete, inzwischen als internationale Rambo-Truppe
berüchtigte Drug Enforcement Administration
(DEA). Außerdem dürfen auf Grund
eines US-Rechtsgutachten von 1989, ausländische Staatsbürger auf fremdem Territorium verhaftet werden.
So befinden sich die Vereinigten Staaten nicht nur im Krieg gegen Böses,
sondern seit über 20 Jahren im Krieg
gegen Drogen. Ein innenpolitisches
Problem wurde zu einem außenpolitischem
Anspruch gemacht:
Satelliten orten weltweit Pflanzungen, die zu Drogen verarbeitet werden
könnten. Unter Aufsicht und Ausbildung der DEA durchkämmt die örtliche
Drogenpolizei (UMOPAR) Felder, stoppt Autos, stochert in Polstern, dringt
gewaltsam in Häuser, dreht Matratzen um. Allein in Bolivien an den Osthängen
der Anden wurden bereits 40.000 Hektar wertvollen Ackerlandes von den
DEA-Flugzeugen mit Chemikalien besprüht. Diese Feldzüge haben zur Verwüstung
ganzer Anden-Landstriche geführt. Jeder verwüstete Hektar verursachte an
anderer Stelle zwei Hektar Rodung im Regenwald,
wo neue Pflanzungen angelegt werden, weil der Auslandsbedarf
steigt.
Problemlos finden sich zahlungskräftige Käufer - mit
steigender Tendenz. Nach Schätzung der
UNO werde weltweit mehr für Drogen als für Nahrungsmittel ausgegeben,
(Europäische Hochschulschrift der politischen Wissenschaften, Band 349) und das
Drogen-Handelsvolumen stehe nach dem Waffenhandel an zweiter Stelle.
Dass Drogen vor allem ein Problem der gringos,
der Fremden sind, wissen lateinamerikanische Regierungen längst, wagen es aber
kaum zu sagen. Ihr Kokablatt wurde bis
in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein ausschließlich von der einheimischen
Bevölkerung gekaut bzw. getrunken, für volksmedizinische und religiös-rituelle
Zwecke verwendet. Das änderte sich schlagartig in den 70er Jahren: Hatte eine
Studie des Economic and Social Council (ESOSOC) der UN von 1950 die bolivianische Produktion noch mit 2.600 t angegeben, so erreichte sie 1971
schon 6.056 t und 1980 ein Volumen von 58.300 t. „Verantwortlich für diesen explosionsartigen Kokaboom
war nicht die traditionelle eigene, sondern eine bisher ungekannte Nachfrage
nach exotischen Drogen aus dem Ausland, vor allem bei der jungen Generation der
westlichen Industrienationen. Zu ihrer Befriedigung standen beschäftigungs- und
perspektivlose Menschen bereit, Menschen, die bereit waren für die Hoffnung auf
ein Auskommen ein Leben am Rande der Legalität mit beträchtlichen Gefahren und
Härten auf sich zu nehmen“, stellt der österreichische Anden-Forscher Robert
Lessmann fest. Die Friedrich-Ebert-Stiftung gewährte ihm Studien-Aufenthalte in
den Andenstaaten, Bolivien, Peru und Kolombien. Durch Einblicke aus erster Hand begab er sich in
die Niederungen der Bürokratien, der Militarisierung und in die Mechanismen der
US-Vorherrschaft.
„Koka ist nicht Kokain“, verteidigen die Campesinos ihre Existenzgrundlage.
In Misskredit waren ihre anspruchslosen Sträucher,
die dreimal im Jahr zum Pflücken bereit sind, erst durch seine chemische Umwandlung in
Europa geraten. Böse Droge – gute Arznei! A. Niemann Durch ein kompliziertes Verfahren
gelang es A.Niemann, das wichtigste der 14 Alkaloide des Blattes, das HCL, zu isolieren, fortan Kokain genannt. Es erwies
sich nicht nur als wirksames Lokalanästhetikum, sondern wurde auch gegen
Alkoholismus, Depressionen, Tuberkulose und Impotenz verabreich. Zu den ersten Wissenschaftlern, die sich
ernsthaft mit dieser Droge auseinandergesetzt hatten, zählte Sigmund Freud. Die
Firma Merck aus Darmstadt begann 1862 Kokain zu kommerzialisieren, expandierte
1894 nach New York und ist bis heute wichtigster Kokainlieferant. In Nord-Amerika
erfreute sich der Stoff ab 1903 als Beimischung zur Coca Cola.
Nach dem bisherigen Stand der toxikologischen Forschung sei die Koka-Drogen-Hysterie übertrieben,
schreibt Forscher Lessmann. Und der
deutsche Mediziner Dr. Michael Valenti-Schlieper mit Wohnsitz in Connecticut geht
noch einen Schritt weiter: „Es ist
erwiesen, dass nicht Kokain, sondern Alkohol die meisten Gewaltdelikte verursacht.“
20 Prozent der US-Bevölkerung seien alkoholsüchtig. Dennoch werde der Drogenkrieg – ohne nennenswerte Erfolge – in dieser Form
unreflektiert weiter geführt. „Der
Gefängnisbau boomt sowohl in den USA als auch im lateinamerikanischen
Hinterhof. Allein im Jahr 1998 saßen
78,8 Prozent aller US-Häftlinge wegen Besitz einer geringen Menge Drogen
fest. Während der letzten 20 Jahre wurden 100 Milliarden Dollar im Drogen-Krieg verschwendet.“ In seiner Public-Health-Studie
fordert Valenti-Schlieper den Ausbau öffentlicher Gesundheitsvorsorge, die Kriminalisierung aufzugeben - also eine
fundamentale Veränderung der
US-Drogen-Politik.
In Europa wird der Besitz geringer Mengen Drogen kaum noch bestraft. Dennoch
registriert die EBDD (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht)
in Städten Großbritanniens, Spaniens,
Italiens und der Niederlande Zuwachsraten
der Hauptdroge Kokain. Bestrafung hin und her: Am Kiffen lassen sich nur wenige hindern.
Der Drogenkrieg wird also unerbittlich fortgesetzt.
„Und worum geht es eigentlich in diesem Krieg?“ fragt Robert Lessmann
nach seinem Lateinamerika-Aufenthalt: „Um unmündige Bürger, die vom Staat davor
bewahrt werden müssen, sich Schaden
zuzufügen? Um Volksgesundheit? Um
Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie? Um nationale Sicherheit?“
Der letztere Gedanke ist Europäern
im Zusammenhang mit Drogen fremd. In den
USA jedoch ist er Grundlage für die Einbeziehung des Militärs.
Beidseitig des Atlantiks liegt die Gefährdung durch die legalen Drogen
(Alkohol,Tabak) mit weitem Abstand vor
den illegalen. Dennoch haben die europäischen Länder – von den USA getrieben –
alle internationalen Konventionen gegen den Missbrauch
illegaler Drogen unterzeichnet.
Diesseits des Atlantiks neigt man (noch) nicht dazu,
Drogenbekämpfung zu einer
außenpolitischen Aufgabe zu machen, obwohl Europa auf Wunsch Washingtons schon
seit Jahren stärker in die Pflicht genommen werden soll.
Kein anderes Blatt der Welt hat einen derartig kontroversen Ruf erlangt. Es konnte sich - im Gegensatz zu Tabak - nie
als exquisit durchsetzen, jedoch um so mehr als grünes Gold, als Geschenk der
Götter und schließlich als Blatt der Rebellion: Zuerst gegen die spanische Unterdrückung; aktuell gegen den nordamerikanischen
Hegemonie-Anspruch.