Donnerstag, 26. Februar 2009

Buch-Rezension, Gold auf Lapislazuli, Die 100 schoensten Liebesgedichte des Orients


Als der Beck-Verlag sie bat, seine Reihe “Die 100 schönsten…” durch Liebeslyrik aus dem Orient zu erweitern, hatte Claudia Ott spontan abgelehnt: “Keiner kann sich das anmaßen, denn die Fülle der Texte ist enorm. Allein die arabische Sprache kennt mehr als hundert Wörter für Liebe, und in kaum einer anderen Dichtung ist die Liebe so zentral, so facettenreich wie in der orientalischen”.

Claudia Ott, die promovierte Orientalistin muss es wissen, denn sie unterrichtet an der Universität Erlangen, spricht Arabisch, Hebräisch, Türkisch, Persisch und Paschtu.

Den Verlagsauftrag nahm sie erst an, als sie die Idee hatte,  die Gedichte nach dem üblichen Schicksal von Liebespaaren zu ordnen - -  von der ersten Verliebtheit, über ihre Vereinigung bis hin zu Trennung und Abschied.
So ist es ihr gelungen, einen geordneten Reigen aus drei Jahrtausenden und aus verschiedenen Kulturen und Sprachen auf eine Art zu versammeln, dass der Leser erkennt, wie die Lyrik über alle Zeiten hinweg aufeinander Bezug nimmt.

Gedichte von Goethe und Heine fehlen nicht. Wir erfahren bei ihrer Buchvorstellung im Auswärtigen Amt im Rahmen des “Dialogs der Kulturen“, dass sich auch Rilke, Hausmann, Buber und Opitz durch den Orient, seinen Klang der Sprache, seinen Duft und seine Farben inspirieren ließen.

Das magische Farbenspiel von “Gold auf Lapislazuli” bildet das Tor, durch das Claudia Ott den Leser die geheimnisvolle Welt des Orients betreten lässt.   “Gold auf Lapislazuli” - auch eine Metapher für Sterne auf tiefblauem Nachthimmel, die nicht nur die Autorin beim Übersetzen eines andalusischen Gedichtes bezauberte, sondern schon 2600 vor Christus den sumerischen König Gilgamesch, der seiner Angebeteten einen Wagen “aus Lapislazuli und aus Gold” verspricht. 

Bei ihren eigenen Nachdichtungen legt die Übersetzerin Ott großen Wert auf den Rhythmus der Urfassung. “So kann jeder Leser das orientalische Liebesgedicht auf seine Lebenswelt beziehen, kann den fernen Freund, den unerreichbaren Herrscher oder den Allmächtigen als Geliebten auffassen. Diese Vieldeutigkeit, Offenheit nach allen Seiten, ist in der orientalischen Dichtung Programm, sicher einer der Gründe für ihre Breitenwirkung”, schreibt  die Autorin in ihrem Nachwort.

Donnerstag, 12. Februar 2009

Wenn Wissenschaft Arabisch spricht


Steht Wissenschaft nicht nur in abendländischer Tradition? Sind deshalb nicht ihre klassischen Sprachen Latein und Griechisch? Aber Arabisch?
Arabien! Mit diesem Wort verbinden wir bestimmte Bilder, böse Bilder. Kein Wunder, denn aus jener Weltgegend werden wir täglich mit Terror- Tod- und-Teufel-Nachrichten überschwemmt.

Daneben besteht noch ein zweites Bild, ein heimliches, eins von mysteriösen Märchenerzählern, betörenden Düften, bauchtanzenden Haremsdamen... ein Gemälde lüsterner Sinnlichkeit. Kurz: Unser Arabien-Bild wird auf alles Anstößige, alles Verächtliche reduziert. Als Wiege der Wissenschaften haben wir jenen Teil des Globus nie eingeordnet.

Konnten wir auch nicht, denn als solche kam er in unserer Schulbildung nicht vor. Wer jemals die Möglichkeit hatte, den Blickwinkel zu ändern, der wird erstaunt festgestellt haben, dass in der arabischen Welt das Vergangene realer als die Gegenwart ist, so als läge den Menschen ein von Jahrhunderte langer Erfahrung geprägtes Wissen im Blut, das ihnen besondere Würde und Gelassenheit schenkt. Unser böses Arabien-Bild erweist sich also bei genauerem Hinsehen als Verzerrung. Sollten wir einfach nur unsere Optik ändern?

Es ist auch die Lehre der Optik, die vom IX. bis XV. Jahrhundert vertieft wurde. Damals bewegten sich die Gelehrten von Bagdad bis Samarkand, von Granada bis Kairo, von Damaskus bis nach (Indien) Jaipur, – ihre Sprache war Arabisch.

Den Weg der Strahlen hatte zwar der berühmteste Mathematiker der Antike, Euklid, 300 v. Chr. geometrisiert, auch Ptolemäus konnte 150 v. Chr. Strahlen präzise messen, aber das Licht hatte noch nicht ihre Aufmerksamkeit erweckt. Arabische Mathematiker wie Ibn Al–Banna, Ibn Al-Haim, Al- Karaji oder Umar Al-Khayyam übersetzten die antiken Thesen der Optik und erweiterten sie. Al-Kindi und Ibn Al-Haytham, oder Alhazan, vermuteten, dass Licht eine eigene existentielle Grösse sei. Sie entdeckten 900 n. Chr. den Brennspiegel als Lichtkörper. Reflexionsgesetze werden in Ibn Al-Haythams Buch der Optik formuliert: „Sehen entsteht, wenn Strahlen des Objekts auf ein Auge fallen, sich auf der Netzhaut brechen. Dort entsteht ein Bild, welches dem des Objekts entspricht,“ notierte er sorgfältig.
Systematisch hatten alle arabischen Forscher ihre Erkenntnisse aufgezeichnet und als Enzyklopädien herausgegeben. Europa profitiert heute noch davon. Constantinus Africanus, dem Arzt aus Karthago gelang es Ende des 11. Jahrhunderts, eine Anzahl dieser Medizin-Wälzer nach Sizilien zu bringen. Mit diesem Wissen wurde Salerno (neben Palermo) zur bedeutendsten medizinischen Fakultät Europas. –
Während es noch im mittelalterlichen Europa aus religiösen Motiven als ehrenrührig galt, einen menschlichen Körper zu öffnen, versuchten die arabischen Ärzte schon die ersten schwierigen Luftröhrenschnitte unter kontrollierter Narkose. Ihre Zahn-Heilkunde, ihre Therapien von Hautkrankheiten waren um Jahrhunderte dem europäischen Wissen voraus.

Als erster hatte der 1288 geborene Ägypter Ibn Al-Nahfis, Direktor der Hospitäler von Kairo und Nasri, ebenso Kommentator der Thesen des Hippokrates, den „Kleinen Blutkreislauf“ oder „Lungen-Kreislauf“ entdeckt, also den mit Sauerstoff angereicherten Weg des Blutes, bevor es in den grossen Kreislauf (Siehe Graphik !) zurück fließt. Dasselbe gelang in Europa erst 1628 dem Engländer William Harvey.

865 n. Chr. wurde in Persien Abu Bakr Al-Razi geboren. Er leitete das Hospital von Bagdad. In seinen 280 medizinischen Werken finden wir erste Pocken- und Masern-Diagnosen mit entsprechenden Therapievorschlägen.
Ein Name wie der des 1037 im zentralasiatischen Buchara geborenen Ibn Sina, auch Avicenna genannt, ist fast vergessen, obwohl er 450 medizinische Werke verfasste, Aristoteles übersetzt und kommentiert hatte. Auch der in Cordoba 1126 geborene Ibn Ruschd, Averroes, schrieb das Al-Kulliyad , das Colliget, das aus den 7 Teilen Anatomie, Pathologie, Diagnose, Therapie, Hygiene, Ernährung und Diät bestand. Zu nennen sei noch Abu Imran ibn Maymun, Maimonides, 1135 in Cordoba geboren. Er lebte bis 1204 in Ägypten, war Leibarzt des Sultans Saladin, gilt als wichtigster Denker des mittelalterlichen Judentums, schrieb seine medizinischen und philosophischen Hauptwerke in Arabisch: „Mäßigung in allem“ empfiehlt er und „Medikamente unterstützen lediglich den Körper, damit er sein Gleichgewicht wieder erlange“.

In Beziehung zur Medizin stand die Botanik. Alexander von Humboldt erinnerte: „Die Apothekerkunst ist von den Arabern geschaffen. Die ersten Vorschriften über Bereitung der Arzneimittel sind von ihnen ausgegangen und wurden durch die Schule von Salerno in Europa verbreitet“.
Die Arzneikunde war im 13. Jahrhundert so umfangreich, dass der Botaniker Ibn Al-Baitar aus Malaga mehr als 1400 pflanzliche Rezepturen und Drogen anzuwenden wusste. Die Versorgung der gesamten Bevölkerung war von den Apotheken aus gesichert. In Europa waren arabische Elixiere nur den reichen Patriziern zugänglich.
Jahrhundertelang waren Tausende von Karawanen durchs Morgenland geschaukelt, Kamele hoch beladen mit Heilpflanzen, Gewürzen, Mineralien, Weihrauch und Seide, die sowohl für die orientalischen Basare als auch für die Märkte des Abendlands bestimmt waren. Die grossen Handelsstrassen verliefen (Weihrauch- und Seidenstrasse) durch Städte, deren Namen sagenhafte Schönheit und schimmernde Pracht verhießen.
Über den Handel mit Europa – der religiöse Zwist rückte in den Hintergrund - war Arabien zu schriftlichem Rechnen, zur Algebra, sowie zum Wiegen und Messen gezwungen. Abu Al-Wafa und Al-Kashi dachten erstmals über spezifische Gewichte nach.

Erste Präzisionswaagen entstanden im 9. Jahrhundert. Zur gleichen Zeit verfasste auch der in Usbekistan geborene Mathematiker Muhamed Ibn Musa Al Hworithmi eine Dezimal-Aufgabensammlung zur Anleitung für Händler und Notare. Nach ihm wurde der Algorithmus benannt. Europa trennte sich von den Römern übernommener komplizierter Zählweise im 13. Jahrhundert und ersetzte sie durch arabische Zahlen..

Eng verbunden mit der Mathematik war die Astronomie. Erkenntnisse der Astronomen Al-Birmi, Nasir Al-Din Al-Tusi, Thabis Ibn Qurra, Ibn Yunus, Ibn Al-Shatir dienten der Astrologie, der Bestimmung der Gebetszeit, (mit Hilfe von Sand- und Sonnenuhren) der Ausrichtung nach Mekka und der Wahrnehmung des Neumondes. Wichtig, denn in der moslemischen Welt basiert der Kalender auf Mondphasen. All jene Wissenschaftler fanden die antiken Thesen des Ptolemäus’ widersprüchlich und behaupteten schon im 11. Jahrhundert, dass die Erde eine Kugel sei. Ihre Winkelmesser, Quadranten, Sextanten und das Astrolabium zur Bestimmung des Standes der Gestirne wurden vom späteren Europa gern übernommen. Sehr früh wurden Arbeiten über Ebbe und Flut, Morgenröte, Dämmerung, den Regenbogen, den Mondhof und die Bewegungen von Sonne und Mond verfasst. Deutliche Spuren der arabischen Astronomie finden wir bei den Sternennamen.

Doch erst Kopernikus und Galilei war es im XV. Jahrhundert vorbehalten, geozentrisches Denken in heliozentrisches zu korrigieren.
Im frühen Mittelalter reisten also die arabischen Gelehrten durch ihre Welt. Sie bedienten sich des Wissens der Karthographen Al-Balki (920 n. Chr), Al-Istakhri und Al-Muquddas. Ihr Atlas der islamischen Welt bestand aus 21 Landkarten und 3 Karten der Meere. Nord und Süd war verdreht, nicht wichtig, denn man glaubte, allein der moslemische Weltteil, der bis nach China reichte, sei besiedelt.

Bis ins ferne China war Ibn Battuta im XIII Jahrhundert vom Maghreb aus über Indien gereist. 29 Jahre war er unterwegs. Eine Rekord-Reise. Er hatte genug Zeit Flora, Fauna sowie Religionen und Sitten der fernen Länder in seinem Werk Aktuelles meiner Beobachtungen präzise zu beschreiben. Der berühmteste Reisende des IX. Jahrhunderts war Sindbad der Seefahrer, der Held aus 1001 Nacht, der 900 n. Chr. von Oman aus seine abenteuerlichen Reisen angetreten haben soll.

Aber die damalige Welt war nicht nur in Bewegung, sie siedelte auch. Exzellente Zeugnisse ihrer Baukunst finden sich von Alexandria über Basra bis Samarkand. Bagdad, 762 als Hauptstadt des abbasidischen Kalifats prächtig ausgebaut, gilt architektonisch als die ideale Stadt, außerdem als Hochburg der Gelehrsamkeit. Palast und Moschee waren von mehreren Ringen umgeben. Man begab sich durch vier verschiedene Portale ins Zentrum. 786 öffnete der mächtige Harun Al Rashid das erste Hospital in Bagdad. Jede islamische Stadt hatte eins. Ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion, wurden alle behandelt. Neben der reinen Krankenpflege wurden dort Ärzte ausgebildet. Hospitäler gewährten Verwundeten wie Genesenden Asyl.
Wahrscheinlich wandelten sie in den Hospital-Gärten. Der Koran verspricht den Gläubigen den Garten des Paradieses. Daher mag die Stärke der Araber auf dem Gebiet der Bodenkultivierung und Landschaftsgestaltung, der Bewässerung, der Einführung von Früchten und Pflanzen wie Zuckerrohr, Granatapfel, Aprikose und Pfirsich – und der Kultivierung menschlichen Zusammenlebens – herrühren. Wassertechnik (Hydraulik) beschäftigte den Orient wie den Okzident gleichermaßen. Die hängenden Gärten von Babylon gehörten zu den sieben Weltwundern. Die dunkle Welt des Mittelalter bekam durch Araber eine neue Lebensart.

Dazu gehörten Musik und Poesie. Gitarre, Mandoline und Laute stammen aus dem mittelalterlichen Kulturexport. Der über Nordafrika und Spanien nach Frankreich gelangte Troubadour-Gesang beeinflusste die mittelhochdeutsche Minne. Nicht zu vergessen seien die orientalischen Märchen mit ihren Feen und Zauberern, die Eingang in die europäische Literatur fanden.
Als die katholischen Könige Granada 1492 mit Feuer und Schwert eroberten, die Mongolen hundert Jahre zuvor Bagdad brutal zerstört hatten, wurde so manche wissenschaftliche Handschrift vernichtet. Trotzdem hat sich ein beachtlicher Wissens- und Wortschatz arabischer Herkunft erhalten, der heute als organischer Bestandteil unserer westlichen Sprachen empfunden wird.

„Lange hatte Europa an einem Unterlegenheitsgefühl gegenüber der islamischen Welt gelitten“, schreibt heute der britische Orientalist W. Montgomery Watt. „Europa konnte sich nur davon befreien, indem es das Bild des Islams entstellte und zugleich den arabischen Umweg verleugnete, auf dem es einen großen Teil seines antiken Erbes empfangen hatte.... Es gehört zu den aufregendsten neueren Erkenntnissen der westlichen Orientalistik, dass der Anteil des Islam am westlichen Selbstverständnis weit größer ist, als bisher angenommen“.